Wie soziale Herkunft Bildungswege und berufliche Karrieren beeinflusst

In „Klassenreise“ lassen die Autorinnen Betina Aumair und Brigitte Theißl Personen zu Wort kommen, die es trotz ihrer Herkunft abseits privilegierter Schichten geschafft haben, zu höchsten akademischen Würden und erfolgreichen beruflichen Karrieren zu gelangen.

Welche Hindernisse sie auf diesem beschwerlichen Weg nehmen mussten, wird in den authentischen Erzählungen der Protagonist:innen anschaulich beschrieben, zu denen etwa auch so prominente Personen wie die Autorin Barbara Blaha, Gründerin des Politkongresses Momentum und des Thinktanks Momentum Institut, gehören.
Diese Erzählungen liefern die Fakten, warum in Österreich – mehr als in allen anderen europäischen Staaten – nicht nur Vermögen, sondern nach wie vor auch Bildung vererbt wird:

Wer in einen Akademikerhaushalt hineingeboren wird, hat ungleich höhere Chancen, auch an eine Universität zu gelangen, als ein Kind aus der Arbeiterschicht, einer Familie mit Migrationshintergrund oder eines allein lebenden Elternteils. Dieser „Stallgeruch“ der sozialen Herkunft – wie er bereits im Jahr 1979 in dem Buch „Die feinen Unterschiede“ des berühmten französischen Soziologen Pierre Bourdieu beschrieben wurde – prägt den Alltag der „Klassenreisenden“ auch in ihrem späteren Leben. Er führt nicht selten zu Unsicherheit, Fremdheitsgefühlen und sozialer Isolation der in Zwischenwelten lebenden Menschen.

Es ist hoch an der Zeit über Klassismus zu sprechen

„Die Arbeiterklasse als Herkunftsort habe ich immer gespürt. Mir wurde oft gesagt: Du hast deine Arbeiterklasse verraten, weil du jetzt in die bürgerliche Klasse aufgestiegen bist“, erzählt die Soziologieprofessorin Christine Goldberg in ihrem Beitrag und zeigt, dass das Verlassen des Herkunftsmilieus auch einen Verlust bedeutet. Aber nicht nur dort fühlen sich Klassenreisende oft nicht zugehörig, auch dort, wo sie angekommen sind, verschweigen sie oft ihre Herkunft, vermeiden es, im Mittelpunkt zu stehen, denn anders als bei anderen marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen ist die Zugehörigkeit zu einer nicht privilegierten Klasse nach wie vor ein Tabu.

Klassenreise
Klassenreise 3. Auflage

Warum es hoch an der Zeit ist, über Klassismus zu sprechen, beschreibt die bereits eingangs erwähnte Autorin Barbara Blaha: „Ich habe schon in der Schule sehr schnell gemerkt, was du schaffen kannst, wenn du Öffentlichkeit erzeugst; natürlich war es ein Mini-Schulkosmos, aber das Gefühl von: Du hast eine Wirkung auf die Welt, und zwar eine wesentliche, die war wichtig. Und das ist ja auch der Beginn eines jeden Engagements […] Natürlich bedeutet das auch, sich Bewertungen auszusetzen […] Du musst halt dein Gesicht oder deinen Namen einsetzen.“ Blaha, die den Leser:innen wohl als ebenso eloquente wie intelligente Teilnehmerin an Diskussionen auf höchster politischer Ebene bekannt ist, gesteht in ihrem Porträt: „Ich muss mich aber nach wie vor zwingen, öffentlich zu sprechen.“

Die Scham über das jeweilige soziale Herkunftsmilieu ist es, die beinahe von allen porträtierten Klassenreisenden thematisiert wird. Nur eine Enttabuisierung kann Abhilfe schaffen, und darum hat das so bescheiden daherkommende Buch von Aumair und Theißl auch die allerhöchste Brisanz, gerade in einer Zeit, in der wir uns als Gesellschaft durch Energiekrise und Inflation auf Rekordhöhe mit einer größer werdenden armutsgefährdeten Schicht konfrontiert sehen.
Denn ungleich verteilte Bildungschancen durch gesellschaftliche Stigmatisierung führen nicht nur zu ungleich verteilten Aufstiegschancen, Berufskarrieren und daher auch von Vermögen. Armut schränkt nicht nur das Leben der Betroffenen massiv ein, indem sie gesellschaftliche Teilhabe verhindert, Armut hat auch demokratiepolitisch nachteilige Folgen für die gesamte Gesellschaft: Nur die Hälfte des ärmsten Drittels der österreichischen Bevölkerung nimmt an Wahlen teil, analysierte die Armutskonferenz. Politische Teilhabe, etwa das Engagement in Vereinen, Gewerkschaften oder politischen Parteien erfordert Zeit und Ressourcen, die Armutsbetroffene nicht haben. „Denn Menschen, die ihre materiellen Aussichten schlecht einschätzen, partizipieren deutlich weniger als jene, die ihre Zukunft als abgesichert sehen“, so die Autorinnen: „Das Erfahrungswissen, die Stimmen und Anliegen von Armutsbetroffenen bleiben so unsichtbar und ungehört, was eine Demokratie insgesamt beschädigt.“

Beitrag von Ulrike Springer (ÖGB-Verlag)
Klassenreise
Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt

3. Auflage
von Betina Aumair | Brigitte Theißl

Klassenreise

Verlag: ÖGB Verlag | 15.02.2023 | 232 Seiten |
ISBN: 978-3-99046-656-8 | 24,90 EUR

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